Warum veredelt der Mensch Rohkost? Warum ist gegartes Fleisch besser für uns als rohes? Warum essen wir so gerne in Gesellschaft? Warum ist Kochen eine wichtige kulturelle Errungenschaft? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen ermöglichen Wissenschaftlern in jüngster Vergangenheit einen ganz neuen Blick auf den Themenbereich Ernährung und Genuss. Wir informieren Euch in diesem Special über die spannenden Ausführungen des Harvard Forschers Richard Wrangham. Seine aktuelle These: Kochen gehört nicht nur zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit – es hat den Menschen vermutlich überhaupt erst zum Menschen gemacht… 

Was unterscheidet uns von anderen Lebewesen auf dem Planeten?

Es ist durchaus erstaunlich: Selbst die mit uns am nächsten verwandten Menschenaffen sind durch ganze 2 Millionen Jahre Entwicklung von uns getrennt. Eigentlich eine Menge Zeit, um bei damals ähnlichen Anlagen ähnliche Fortschritte der Art verzeichnen zu können. Doch irgendetwas scheint bei uns Menschen besser – oder zumindest ganz, ganz anders gelaufen zu sein. Schließlich fliegen wir mittlerweile zum Mond, komponieren Sonaten, entwickeln Atombomben oder machen uns Gedanken über Gott, während unsere entfernten Verwandten mit Stöckchen in Ameisenhaufen wühlen und noch immer nicht die Bäume verlassen haben, auf denen sich ihre Art seit Millionen von Jahren tummelt

Das, was uns auszeichnet, ist vor allem schon mal ein sehr, sehr großes Gehirn – zumindest im Vergleich mit anderen Säugetieren ähnlicher Körpermasse. Dieses Gehirn ermöglicht es uns, über abstrakte, komplexe Zusammenhänge nachzudenken und Dinge zu erfinden. Aber warum ist das so? Um es gleich vorwegzuschicken: Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Es gibt unterschiedliche Hypothesen.

Und eine der neuesten ist die des Harvard-Forschers Richard Wrangham. Er ist der Meinung, dass vor allem das Kochen uns Menschen überhaupt erst zu Menschen gemacht hat. Und dass uns die Errungenschaft, Nahrung zuzubereiten, überhaupt erst in die Lage versetzt hat, zu immer wieder neuen geistigen Höhenflügen anzusetzen. In seinem Buch „Feuer Fangen“ geht Richard Wrangham davon aus, dass die letzten 2 Millionen Jahre der Entwicklung der Menschheit in hohem Maße von der Verbesserung verschiedenster Kochtechniken abhängig waren. Das klingt wie die absurde Phantasie eines Chefkochs? Weit gefehlt!

Wrangham stellt eine wirklich schlüssige Theorie auf: Erst die Aufnahmen von gegartem Essen hat es uns Menschen ermöglicht, einen wesentlich höheren Anteil an Energie für unser Gehirn zu verwenden, statt sie mit komplexen Verdauungsprozessen vergeuden zu müssen. Das Verdauen von Nahrung kostet nämlich jede Menge Energie.

Doch durch das Garen von Nahrung wird das Verdauen erleichtert, der Magen-Darm-Trakt kann kleiner werden und verbraucht weniger Energie. Die eingesparte Energie kann woanders verwendet werden. Und wozu verwendet der Mensch die eingesparte Energie? Richtig: Zum Denken. Und das Denken wiederum hat uns zu so fantastischen Errungenschaften gebracht wie Musik, Literatur, Philosophie und Technik. Ach ja – und natürlich der Möglichkeit herauszufinden, warum genialer Genuss so wichtig für uns ist.

Fire walk with me

Der Mensch erlernte irgendwann die Fähigkeit, das Feuer zu beherrschen. Und es zu schätzen! Denn ein Lagerfeuer spendete Wärme in kalten Nächten. Vor allem aber schreckte das Feuer natürliche Feinde wie Raubtiere ab. Es verhieß Schutz in der weiten Steppe. Und befähigte unsere frühen Vorfahren, seine angestammten Bäume zu verlassen, fortan auf dem Boden zu leben und neue Weiten zu entdecken.

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Homo Erectus richtete sich in der Folge auf, um die hoch wachsenden Gräser der Savanne um sich herum besser überschauen zu können. Aber das war nicht die einzige Wirkung, die die Domestizierung des Feuers mit sich brachte: zeitgleich bildeten sich weitere Unterschiede heraus: Das Gebiss und der Magen-Darm-Trakt wurden deutlich kleiner – das Gehirn deutlich größer. Diese Entwicklung könnte in direktem Zusammenhang mit neuen Wegen der Nahrungsaufnahme einhergehen.

Das Feuer war schließlich schon da – der Schritt, Nahrung darin oder darüber zuzubereiten, kann nicht weit gewesen sein.Die Folgerung, die auch Richard Wrangham zieht, scheint doch logisch: Unsere Vorfahren beherrschten schon vor rund 2 Millionen Jahren das Feuer – und sie entwickelten fortan auch die Kunst des Kochens. Natürlich hat alles ziemlich einfach angefangen. Unsere Vorfahren haben vielleicht verbrannte Nüsse, Kerne oder Wurzeln gefunden und festgestellt, dass sich diese leichter kauen lassen und geröstet sogar besser schmecken. Oder bei einem Buschfeuer wurden Tiere verbrannt, deren Fleisch ebenfalls leichter essbar und schmackhafter war.

Eukalyptus Bäume können beispielsweise nach einem Buschfeuer noch bis zu 8 Monate brennen. Vielleicht haben unsere Vorfahren einen solchen Baum quasi als Herd genutzt, um erstmals eigenständig Nahrung zu garen. Und *ZACK* slowroasten wir Fleisch acht Stunden lang bei exakt 60 Grad in einem genial durchdachten Ofen – und erhalten die zarteste Lammschulter die es gibt. Die Idee, dass wir ohne Grillen, Braten und Dünsten heute noch auf den Bäumen sitzen würden, ist in diesem Sinne doch wirklich spannend.

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Verdauen, Denken und sozial sein

Allein während des Schlafens verbraucht das Gehirn der meisten Säugetiere 3-5% der dem Körper zur Verfügung stehenden Gesamtenergiemenge. Das von Primaten hingegen schon bis zu 10%. Das menschliche Gehirn hingegen benötigt bis zu 25%! Wenn man bedenkt, dass die meisten Tiere einen Großteil der Zeit darauf verwenden Energie zu finden (Nahrung suchen, kauen, essen), dann ist der Engergieverbrauch des menschlichen Gehirns absolut verschwenderisch.

Evolutionär scheint also ein großes Hirn keinen Sinn zu ergeben. Aber warum stecken wir Menschen so viel mehr Energie in unsere Gehirntätigkeit? Warum denken wir mehr? Weil wir soziale Wesen sind, die seit grauester Vorzeit in Sippen leben. Dieses Zusammenleben in sozialen Gruppen bringt eine Menge Vorteile. Banal gesagt, sind wir gemeinsam einfach stärker.

Um aber derart komplexe soziale Gefüge aufbauen zu können, benötigen wir die Fähigkeit, zu denken. In unseren sozialen Gruppen müssen wir ständig austarieren, mit wem wir kooperieren, was wir dafür bekommen können oder geben müssen. Dabei sind wir übrigens unter den Säugetieren nicht allein: Auch große Tümmler haben in Relation zu Ihrer Körpergröße große Gehirne. Auch sie leben in sozial komplexen Strukturen – und sind nach unseren Maßstäben besonders intelligent.

Darüber hinaus könnte das Kochen und Verarbeiten von Nahrung wesentlich für die Paarbildung und die Arbeitsteilung der Menschen gewesen sein. Stellt Euch mal vor, Ihr würdet den ganzen Tag zu Fuß in den Weiten der Savanne auf der Jagd sein und erst abends zurückkommen – im besten Fall mit einem erlegten Tier, also rohem Fleisch. Um rohes Fleisch zu essen und vor allem in der Verdauung zu verwerten, bräuchte man allerdings sehr lange. Im schlimmsten Fall hättet Ihr aber nicht einmal einen Jagderfolg zu verzeichnen.

Hier kommt die früheste Arbeitsteilung ins Spiel. In allen Jäger- und Sammlerkulturen sind Männer abhängig von Frauen, von denen sie bekocht werden. Denn nur so haben sie die Freiheit und die zeitlichen Resourcen, den ganzen Tag auf die Jagd zu gehen. Und nur so können sie auch dann etwas essen, wenn Sie nichts erlegt haben. Nämlich das, was die Frauen gesammelt haben. Die Arbeitsteilung lautet entsprechend: Frauen ermöglichen das Jagen. Männer ermöglichen durch das Jagen die Ressource Fleisch. Also ist auch unser soziales Gefüge in der Familie oder in der Gruppe seit jeher wesentlich von der Ernährung – und damit dem Kochen geprägt.

Was passiert beim kochen?

Eine der wichtigsten Funktionen des Kochens (auch Käsen, Fermentieren, Räuchern,…)  ist zuerst einmal das Zartmachen. Warum das wichtig ist? Zum Vergleich: Gorillas kauen praktisch den ganzen Tag auf irgendwelchen Blättern herum; Schimpansen bevorzugen leichter zu kauende Früchte, sind aber trotzdem fünf Mal so lange mit dem Zerkleinern von Nahrung beschäftigt wie wir Menschen. Das vorbereitende Weichmachen unserer Nahrung hat uns also eine Menge zusätzlicher Zeit gebracht, die wir sonst mit Kauen verbringen würden. Und damit sparen wir auch erhebliche Mengen an Energie. Ganz nebenbei: Erst das so deutlich reduzierte Kauen hat uns unsere formschönen kleinen Münder und Kiefer ermöglicht. Also auch unter ästhetischen Gesichtspunkten können wir unseren Vorfahren für die Entdeckung der Bratkunst dankbar sein. Ein  wichtiger Prozess beim Kochen ist außerdem das Auflösen von Stärke in Pflanzen wie Reis, Weizen, Kartoffeln. Stärke setzt sich aus winzig kleinen Körnern verketteter Glukosemoleküle zusammen. Glucos ist ein wichtiger Energielieferant. Glucose (Zucker) als Energie in kohlenhydratreichen Lebensmitteln wird erst durch das Kochen verfügbar gemacht.

Ebenso wichtig wie Kohlenhydrate sind Proteine für unser Überleben. Proteine werden zum Aufbau von Körperzellen wie Knochen, Haut, Muskeln, u.v.m. benötigt und sind beispielsweise auch essentiell bei der Heilung von Wunden und Krankheiten. In Pflanzen, Milch, Eiern oder auch Fleisch sind eine Vielzahl von Proteinen enthalten. Während der Verdauung werden diese Proteine in Aminosäuren aufgespalten, von unserem Körper aufgenommen und dann genutzt, um wiederum Proteine zu bauen. Unser Körper kann also nicht einfach so die Proteine in der Nahrung verwenden. Und auch hier kommt das Kochen ins Spiel. Proteine werden durch Erhitzen (Käsen, Fermentieren,…) in Aminosäuren zerlegt.

Essen wir also Parmesan, oder unsere stundenlang gekochte Kirschtomatensauce, so können wir die darin enthaltenen Aminosäuren direkt verwenden um Proteine zu bauen. Der Körper muss die Proteine nicht erst selbst verdauen, bzw. in Aminosäuren spalten. So zeigen Experimente, dass wir zwischen 91 und 94% der Aminosäuren aus gekochten Eiern vedauen, aber nur 65% aus rohen Eiern. Jetzt mal ehrlich: Nach all diesen wissenschaftlich untermauerten, harten Fakten um die Entwicklung unserer Ernährungsgewohnheiten sollte uns das Zubereiten hochwertiger Nahrungsmittel doch eigentlich noch mehr Spaß machen! Und das Beste daran ist doch, dass wir unserer Neigung zum Genuss durchaus frönen dürfen. Schließlich ist uns diese Gabe von der Evolution sicher nicht ohne Grund in den Genen verankert worden… Warum proteinreiche Nahrung wie Parmigiano genial schmeckt?: Mehr dazu in unserem Umami-Spezial